Artikel von
Hanno Maria Pilartz
Am Heriaden 4
53518 Honerath
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Was Sie über Raufutter in der Pferdefütterung unbedingt wissen sollten
Zunächst die schlechte Nachricht: Eigentlich wissen wir – wissenschaftlich abgesichert – über Pferdefütterung erschreckend wenig. Warum? Pferde sind seit Jahrzehnten keine Nutztiere mehr, und Forschungsmittel an tierärztlichen oder landwirtschaftlichen Hochschulinstituten steckt man eher in die Erforschung von Schweine-, Rinder- oder Geflügelfütterung.
Sicher ist nur eines: Pferde sind von Natur aus Grasfresser, und Meister des Mangels. Sie können noch Nahrung Energie entziehen, die Wiederkäuer verhungern ließe. Dafür haben sie einen hoch spezialisierten Verdauungsapparat, beginnend mit äußerst leistungsfähigen Kauwerkzeugen, einen recht kleinen Magen (die drei des Rindes ist zusammen zehnmal größer), einen kurzen Dünndarm, der dem Nahrungsbrei „flüchtig“ alle leicht verdauliche Energie entzieht, und einer daran anschließenden riesigen „Nachbrenner-Fabrik“, die sogar noch aus Lignin (der Stoff, der Holz hart macht) verwertbare Energie gewinnen kann. Kein anderes in der Größe vergleichbare Lebewesen kann auf einer so schwer verwertbaren Nahrungsgrundlage überleben, wie wir z.B. an den Namib-Pferden, den Mustangs im Nordwesten der U.S.A. oder den australischen Brumbies sehen können.
Leider ist alles, was hoch spezialisiert ist, auch empfindlich. Deshalb lautet ein häufiges Todesurteil für Pferde „Kolik“.
Das mit weitem Abstand wichtigste Pferdefutter ist Gras, oder seine „Konservierungsformen“ Heu oder Heulage während des vegetationsarmen Winterhalbjahres. Fehler, die der Pferdehalter hierbei macht, sind durch kein Mittelchen der Welt wieder auszugleichen. Leider haben wir es da seit gut 30-40 Jahren immer schwerer. Weiden und Heuwiesen wurden in dieser Zeit überwiegend für „Turbo-Milch-Kühe“ oder zu mästende Fleischrinder angelegt. Deren Ansprüche an Gras sind völlig anders, so wie deren Wiederkäuer-Verdauung. Erschwerend kommt hinzu, dass immer weniger Pferde schwer arbeiten müssen, und somit evt. die Chance hätten, Gras, Heu oder Heulage mit hoher Energiedichte irgendwie noch zu „verarbeiten“. Zahlreiche „Volkskrankheiten“ des deutschen Pferdebestandes wie Kolik, Hufrehe, Sommerekzem, seit Neuestem auch als Spätfolge mastigen Futters das bei älterem Pferden immer häufiger anzutreffende Cushing-Syndrom werden mit ungeeignetem Gras und Heu – häufig noch verstärkt durch zuviel Kraftfutter - in Verbindung gebracht. Besonders betroffen sind – eigentlich recht naheliegend – leichtfutterige Robustrassen, die es vor ein paar Jahrzehnten in deutschen Landen in solch großer Zahl gar nicht gab.
Auf die Qualität des Weidegrases können viele Pferdehalter wenig bis gar keinen Einfluss nehmen, im Problemfall hilft kurzfristig nur eine mehr oder weniger radikale Begrenzung der Weidezeit. Heu oder Heulage kann man aber grundsätzlich da kaufen, wo es dies in Pferde-geeigneter Form gibt, sofern man bereit ist, entsprechende Preise für längere Transportwege zu zahlen. Gutes Raufutter für Pferde wächst grundsätzlich auf extensiv bewirtschafteten Flächen, z. B. in den Mittelgebirgsregionen Deutschlands, möglichst unter Verzicht auf Chemie-Düngung und Ausbringung von Gülle. Natürlich kostet das mehr, denn die Hektar-Erträge sind geringer, die Maschinenkosten für das Einbringen sind höher, und für viele Pferdehalter kommen noch Transportkosten hinzu. Aber ganz im Ernst: Besser kann man sein Geld in der Pferdehaltung nicht in die Gesundheit seiner Tiere investieren. Wer nach dem dämlichen Grundsatz handelt „Heu ist gleich Heu, egal, Hauptsache, die Viecher werden satt“, zahlt das evt. eingesparte Geld später doppelt und dreifach an Tierärzte, Huforthopäden, Heilpraktiker usw. – und hat noch kranke, nicht leistungsfähige Pferde dazu.
Leider haben weder Heu noch Heulage Sackanhänger wie die zahllosen industriell produzierten Kraftfuttersorten, die uns Pferdehaltern eine finanzkräftige Futtermittelindustrie pausenlos anpreist. Wie erkennt man also gutes Raufutter? Bei Heu ist dies relativ einfach mit der Nase und der Hand festzustellen: Riecht das Heu sehr intensiv und aromatisch nach „Heu“, enthält es mit Sicherheit einen hohen Anteil an Kräutern. Da Kräuter intensive Stickstoffdüngung und Gülle absolut nicht vertragen, MUSS ein solches Heu von den erwähnten extensiv bewirtschafteten Flächen stammen, und wird daher eine für Pferde ideale niedrige Energiedichte bei geringem Eiweißgehalt aufweisen. Diese Feststellung lässt sich leicht umkehren: Fehlt der typische sehr aromatische „Heuduft“, ist das Heu sehr wahrscheinlich NICHT geeignet für Pferde, weil von stark gedüngten Flächen mit zu hohem Energie- und Eiweißgehalt.
Auch der in jüngster Vergangenheit bekannt gewordene Fruktangehalt – Hauptverursacher von Fütterungs-bedingter Hufrehe - hängt mit der Düngung der Flächen zusammen. Fruktane sind schwer verdauliche Mehrfachzucker, die das Gras zum Wachstum braucht. In den „Nachbrennern“ der Verdauungsorgane des Pferdes können sie dramatische Geschehnisse auslösen. Was aufgrund starker Bodendüngung schnell wächst, kann unter bestimmten Umständen auch viel Fruktan enthalten. Stammt das Winter-Raufutter von stark gedüngten Flächen, und wurde evt. noch früher als sinnvoll geschnitten - nämlich bevor es im Hochsommer beim Gras nahezu zu einem Wachstumsstillstand kam - kann es gefährlich hohe Mengen an Fruktan enthalten
Absolut nicht zu tolerieren ist auch nur ein Ansatz von muffigem Geruch, solches Heu enthält im Zweifel immer reichlich Schimmelpilze und deren hoch gefährliche Sporen, häufig auch an leicht grauem Heustaub zu erkennen. Staubfreies Heu gibt es allerdings fast nicht, denn bei der Heuwerbung gerät zwangsläufig immer etwas Erdstaub mit in den Ballen.
Die Griffprobe sagt etwas über den Erntezeitpunkt und den Rohfasergehalt aus. Weiches Heu wurde für Pferde meist zu früh geschnitten, griffig sollte das Heu sein. Fühlt sich das Heu aber sparrig bis stachelig an, und hat eine eher gelbliche als die erwünschte blasgrüne Farbe, wurde es „überständig“, also deutlich zu spät geschnitten. Dies ist ein notfalls noch zu tolerierender Qualitätsmangel. Wirkt das Heu allerdings irgendwie grau, und riecht zudem noch muffig, ist es mit Sicherheit schimmelig, und für Pferde höchst gefährlich.
Kommen wir zur Heulage. Während Heu vereinfacht gesagt nichts anderes als getrocknetes Gras ist, bezeichnen Spaßvögel Heulage als „Sauerkraut für Pferde“. Das stimmt in mehrfacher Hinsicht, denn Heulage ist Gras, das – deutlich weniger getrocknet als Heu – unter Luftabschluss durch Milchsäurebakterien konserviert ist. Bei Sauerkraut ist die Konservierung sehr ähnlich. Auch der recht hohe Vitamingehalt von Heulage im Vergleich zu Heu erinnert an Sauerkraut. Leider macht es uns der leicht säuerliche Geruch von Heulage – der eher an Tee denn an Sauerkraut erinnert - schlicht unmöglich, die oben für die Qualitätsüberprüfung von Heu beschriebene „Geruchsprobe“ durchzuführen. Wir sind auf Farbe und Griff angewiesen, den Kräutergehalt und damit die mutmaßliche Herkunft von extensiv bewirtschafteten Flächen können wir bei Heulage nur schwer überprüfen. Die Griffprobe ist besonders wichtig, denn die für Rinder geerntete „Gras- oder Rindersilage“ ist aufgrund ihres deutlich zu geringen Rohfasergehaltes für Pferde völlig ungeeignet. Wird sie an Pferde verfüttert, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verdauungsstörungen.
Dafür brauchen wir uns bei Heulage keine Sorgen um Schimmelpilze zu machen. Da diese beim Heu durch „Nachschwitzen“ während des Trocknungsprozesses entstehen, gibt es sie bei Heulage nicht. Deshalb erscheint Heulage als ideales Raufutter für „Heustaub-Huster“. Was es leider oft nicht ist. Denn Heulage ist schlicht „Gärfutter“, welches viele Pferde instinktiv verschmähen. Die allermeisten Pferde, die erstmals Heulage vorgelegt bekommen, brauchen 1-2 Tage Gewöhnung, bis sie sich darauf stürzen. Aus guten Grund! Jeder Gärprozess im Verdauungstrakt des Pferdes ist potenziell gefährlich. Pferde können weder rülpsen noch erbrechen. Im Magen führen Gärprozesse mit den damit verbundenen Aufgasungen recht flott zum Riss des Magens, mit tödlicher Folge. Weiter „hinten“ kann es leicht zur Darmverschlingung kommen. Nur Weniges fürchtet der erfahrene Pferdehalter mehr als eine „Gaskolik“. Dramatische Aufgasungen im Verdauungstrakt des Pferdes aufgrund von Heulage sind zwar relativ selten, die Milchsäuregärung schadet der Pferdeverdauung eher nicht, trotzdem bekommen viele Pferde bei reiner Heulage-Fütterung oft „Trommel-harte“ Blähbäuche. Im günstigen Fall hilft das gezielte Beifüttern von Heu und Stroh. Und das muss für „Huster“ leider nass gemacht werden. Heulage schafft also das lästige Problem des Heutauchens nicht immer vollständig aus der Welt. Manche Pferde bekommen auch von einem kleineren Anteil Heulage am täglichen Raufutter hartnäckigen Durchfall, breiigen Kot, lassen reichlich Kotwasser ab.
Ein weiterer Nachteil von Heulage ist die Botulismus-Gefahr. Hierbei handelt es sich um meist tödlich verlaufende Vergiftungen durch Nervengifte, die von dem Bakterium Clostridium Botulinum erzeugt werden. Dieses ist im Prinzip allgegenwärtig. Es kann sich in sauerstoffarmer Umgebung – wie wir sie in Heulage-Ballen für die Milchsäuregärung brauchen - explosionsartig vermehren. Die Keime geraten oft durch Mäusekadaver in die Ballen. Botulismus-Vergiftungen bei Pferden scheinen relativ selten, allerdings ist die Diagnose für den Tierarzt schwierig, so dass man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss. Leider gibt es keinerlei Schutz gegen diese Gefahr, denn ein vergifteter Heulage-Ballen ist nur durch aufwändige Laboruntersuchungen als solcher erkennbar. Bis diese vorliegen, ist der Ballen längst der sogenannten „Nachgärung“ anheim gefallen, denn die Folienballen müssen nach dem Öffnen der Folie je nach Temperatur innerhalb von 5-8 Tagen verfüttert werden. Immerhin erkennt man Nachgärungen leicht, durch die Bildung von Buttersäure stinkt es bestialisch, und auch das hungrigste Pferd wird vermutlich stark nachgegorene Heulage verschmähen. Gewisse „Lagerverluste“ bei Heulage können entstehen, wenn die Folien der Ballen von Vögeln beschädigt werden. Durch den Sauerstoffzutritt kommt es innerhalb einiger Wochen zu Nachgärungen, der komplette Ballen muss dann entsorgt werden.
Ein wirklicher „Gewinn“ ist Heulage in erster Linie für den Landwirt. Die Ernte ist nicht so wetterabhängig, weil das geschnittene Gras nicht so lange auf der Heuwiese trocknen muss, die Lagerung der in Folie gewickelten Ballen kann im Freien erfolgen. Auch der Pferdehalter braucht keine Scheune für die Lagerung dieses Winterfutters.
Für unsere Pferde bietet Heulage lediglich den Vorteil eines sehr viel höheren Vitamingehaltes im Vergleich zu Heu, und die Freiheit von Schimmelpilzen, bei nicht unerheblichen Risiken und individuell sehr unterschiedlicher Verträglichkeit.
Was beim Raufutter leider auch oft übersehen wird, ist eine pferdegerechte Fütterungstechnik. Pferde sind Dauerfresser, „Arbeitslosigkeit“ mag ihre auf Dauerbetrieb ausgelegte Verdauung nicht. Kann man leichtfutterigen Pferden nicht 24 Stunden am Tag Zugang zum Raufutter geben, weil sie dann zu fett werden, sollte man ihnen die tägliche Raufutter-Ration in möglichst kleinen Portionen mehrmals - mindestens dreimal täglich – vorlegen. Dass auch rangniedrige Tiere ungestörten Zugang zum Raufutter brauchen, ohne von futterneidigen „Kollegen“ ständig vertrieben zu werden, ist ein zweiter wichtiger Aspekt. Futterneid alleine kann reichen, um ein kerngesundes Pferd innerhalb weniger Wochen erheblich abmagern zu lassen.
Abschließend sei noch erwähnt, dass man zahlreiche ernährungsbedingte Gesundheitsprobleme von Pferden mit wirklich gutem Raufutter regelrecht „wegfüttern“ kann, indem man auf die allseits beliebten Fertig- und Müslifutter weitgehend oder sogar vollständig verzichtet. Für viele Vertreter von Robustrassen, die wenig arbeiten, ist eine reine Heufütterung zusammen mit maßvollen Gaben eines qualitätvollen Mineral-/Vitamin-Ergänzungsfutters völlig ausreichend. Kraftfutter gibt man sinnvollerweise nur dann, wenn wirklich Leistung in erheblichem Maße verlangt wird, und zwar immer hinterher.
So etwas kann natürlich nur funktionieren, wenn auch die Pferdezähne regelmäßig kontrolliert und ggf. behandelt werden. Nur die allerwenigsten Tierärzte können so etwas qualifiziert durchführen, besser machen es speziell ausgebildete Pferde-Dentisten. Diese erklären dem wissbegierigen Pferdehalter auch, dass es hauptsächlich das „Körnerfutter“ ist, das beim Pferd die verbreiteten Zahnhacken hervorruft, währen die größeren Mahlbewegungen des Pferdegebisses beim Kauen von Raufutter der Bildung derselben entgegen wirkt.
Es gibt kluge Pferdehalter, die auf diese Weise seit Jahrzehnten keine Kolik, keine Hufrehe und kein Sommerekzem in ihrem Pferdebestand hatten. Und daher „schlechte“ Kunden der Futtermittelindustrie sowie ihres Tierarztes sind, zum Nutzen und Wohlbefinden der Ihnen anvertrauten Tiere.......